Die Themenauswahl der ersten Ausgabe des Essydo Magazins in deutscher Sprache war vergleichsweise leicht. Deutschland und dessen politischen Vorgängermodelle weisen eine jahrhundertelange Historie an Inkompatibilität mit dem Nichtdeutschen auf. Mal passte es nicht mit den Italienern, oder den Russen, mal nicht mit den Franzosen, dann waren es mal die Juden und seit nunmehr 70 Jahren sind es die Türken, die einem nicht so passen. Wenn man sich die Historie der beiden Nationen ansieht, so müsste das Verständnis beider Völker viel ausgeprägter sein. Kaiser Wilhelm II. schenkte dem osmanischen Reich zu seiner Ehrerbietung einen Brunnen, der noch immer in Istanbul zu bestaunen ist. Das osmanische Reich wurde erst durch Deutschland in den ersten Weltkrieg gezogen und sogar Hitler band die Türkei vor Respekt nicht in seine Expansionspläne ein. Mustafa Kemal Atatürk wurde wegen seines bedeutenden Sieges bei der Schlacht von Çanakkale das eiserne Kreuz vom deutschen Kaiser verliehen. Einer der größten Staatsmänner der Weltgeschichte, Otto von Bismarck, sagte einst: “Die Liebe der Türken und Deutschen zueinander ist so alt, daß sie niemals zerbrechen wird.”

Heute leben über 4 Millionen Türken in Deutschland, viele von ihnen besitzen sogar die deutsche Staatsbürgerschaft und einige wenige lehnen sogar ihre türkische Identität ab. Jedoch erleben Türken in Deutschland ein ungeheures Maß an sozialer Ausgrenzung, Chancenungleichheit und Respektlosigkeit. Ob man nun in jedem Alter und bei jedem Erscheinungsbild geduzt wird, keine Wohnung vermietet bekommt, in einem Autounfall der Verdacht auf einen fällt, obwohl man unschuldig ist oder den Traumjob nicht bekommt, der Türke fängt 0-3 hinten und ohne Torwart ins Leben im deutschen Land an. Hierbei sind weder Religionsfeindlichkeit gegen den Islam, welchem sich die meisten Türken bekennen, noch rechtliche Benachteiligungen eingeschlossen. Doch wie kommt es, dass sich ein Teil eines Volkes, das seit über 1500 Jahren existiert und zu den ältesten existierenden Zivilisationen gehört, in einer solch schmälernden Lage befindet?

Bekanntlicherweise wurden die ersten Türken in den 50er Jahren von deutschen Unternehmen als geologische und technische Fachkräfte für den Bergbau angeworben. Durch die schlechte wirtschaftliche Lage der Türkei, die sich noch immer nicht von dem Kollaps des osmanischen Reichs und den Zerstörungen des ersten Weltkrieges erholt hatte, war ein ausländischer Arbeitsplatz in der Industrie eine attraktive Alternative zur unterentwickelten agrarwirtschaftlichen Tätigkeiten. Das Motiv eines Umzugs nach Deutschland war in den meisten Fällen wirtschaftlich und nicht basierend auf dem Wunsch in seinem persönlichen Selbstfindungsprozess voranzukommen. Dies war auch der deutschen Seite klar und man nahm an, dass die türkischen Fachkräfte eines Tages wieder in ihrem Land ihre Karrieren fortsetzen würden. Das passierte jedoch nicht. Die Türken blieben und begannen nicht nur in anderen Branchen zu arbeiten, sondern auch ihre Kinder in die Schule zu schicken, welche erwachsen wurden und auch ihre Kinder in deutsche Schulen schickten.

Was in den Jahrzehnten folgte war ein eiserner Status-Quo: weder fingen die Türken mit ihrem Selbstentwicklungsprozess an, noch freundeten sich die Deutschen mit dem Gedanken an mal mehr über das türkische Volk zu erfahren. Der Türke blieb im Niedriglohnsektor und der Deutsche blieb unter sich. Wenn wir aus der heutigen Sicht auf die Situation der Türken in Deutschland schauen ist es nicht viel anders: Türken sind meist nur in Sport, Musik, Handel oder Bauwesen erfolgreich – kaum ein Türke schafft es in die Vorstände und Aufsichtsräte der DAX-Unternehmen oder baut ein Unternehmen bis in die Riegen der hoch-technologisierten Innovatoren unserer Zeit auf. Der Unterschied ist, dass bis in die 2000er Jahre der Türke für seine Misserfolge verantwortlich gemacht werden konnte. Wenig Fokus auf bildungsorientierte Erziehung, dekandente Lebensweisen durch den gutbezahlenden Bergbau und aktive soziale Isolation von der Gesellschaft waren Gründe warum es die Türken in Deutschland nicht einmal geschafft haben eine Döner-Fast-Food Kette oder eine Supermarktkette aufzubauen.

Heute gelten diese Argumente jedoch nicht mehr. Nie hatten mehr Türken eine Ausbildung oder studierten in Deutschland. Fast jeder Türke spricht fließendes Deutsch (und viele vergessen hierbei die türkische Sprache) und die große Mehrheit der Türken ist berufstätig. Dennoch ist die Chancenungleichheit immens. In Schulen werden Türken bewusst nach der vierten Klasse in die Hauptschulen gedrängt und Noten werden nie neutral vergeben. Somit kämpfen Türken mit großen Barrieren der gesellschaftlichen Reproduktion und haben eine geringere gesellschaftliche Wachstumsrate als Deutsche oder auch als Türken in der Türkei. Zudem kommt eine undurchdringliche Identitätsmentalität der Deutschen. Es ist nahezu unmöglich professionellen Erfolg in Deutschland zu haben ohne seine türkische Identität zu kompromittieren. Aus der sozialen Forschung von Minderheiten ist lange bekannt, dass solange man keine Anzeichen der eigenen Identität zeigt und diese sogar bereitwillig kritisiert man Chancen hat als gleichwertiges Mitglied einer Gruppe behandelt zu werden – dies gilt auch für Frauen, Andersgläubige und Menschen mit anderer sexueller Orientierung. Sobald aber auch nur ein kleinstes Anzeichen der eigentlichen Identität ans Tageslicht kommt, wird diese Person ausgeschlossen und die Kerngruppe verstärkt ihren normativen Kern. Cem Özdemir, Bülent Ceylan und Kaya Yanar sind exzellente Beispiele für Personen, die sich implizit und explizit von ihrer Herkunft distanzieren, wogegen Mesut Özil ein Beispiel dafür ist, dass man trotz gewonnenem Weltmeistertitel kein Recht darauf hat seine Identität auch nur ansatzweise zu zeigen.

Der Deutsche hat keine Argumente mehr für die Vernachlässigung der NSU Morde und rechtem Terror, die Unterbesetzung von Top-Positionen seitens der Türken oder die Unterdrückung türkischen Talents an deutschen Schulen seitens der Lehrer. Aus politischer Sicht, ist Deutschland ein Diamant in die Hände gefallen, der wie ein Stück Glas behandelt wird. Hierdurch entgehen dem deutschen Staat große Einnahmen und dem alternden deutschen Volk die Möglichkeit sich selbst neu zu entdecken und neu zu erfinden. Statt die Möglichkeit zu ergreifen, werden die Barrieren zunehmend größer und die Fronten härter. Es wird auch auf politischer Ebene keine Initiative ergriffen die versäumte Sozialpolitik der letzten 70 Jahre auszugleichen.

Was muss der Türke denn aber jetzt machen? Leider bleibt bei den großen Barrieren nur noch die Selbsthilfe. Anstatt sich zu bemitleiden und den Deutschen um Güte zu bitten, damit man sich doch hier anständig entfalten kann, müssen die Türken aktiver für ihr Glück arbeiten. Nach den ersten 40-50 Jahren an Unterentwicklung kann man dem Deutschen seine Missgunst ja auch nicht ganz verübeln. Dann anzukommen und Gleichberechtigung zu fordern schickt sich einem so altem Volk, wie dem türkischen, nicht. Stattdessen müssen die Türken nun Disziplin zeigen und doppelt und dreifach so hart an sich arbeiten; nicht um dem Deutschen zu gefallen, sondern um Parität zu schaffen – der Respekt folgt von alleine. Für den Türken in Deutschland steht jetzt die Selbstentwicklung an erster Stelle. Er muss mehr Bücher lesen, mehr Museen besuchen, mehr Firmen gründen und mehr Türken einstellen, er muss mehr Sprachen lernen, mehr Kulturen studieren, mehr Patente anmelden, mehr investieren, mehr Hobbies haben, mehr Instrumente lernen und vor allem anderen muss der Türke aufhören auf deutsche Hilfe zu hoffen, denn da wartet er vergebens.